Fahrer:innen von Fahrradbotendiensten mit Rucksäcken zur Beförderung von Lasten gehören zum Straßenbild. Sie sind eine simple und praktikable Lösung – doch ist diese Möglichkeit nun geeignet oder sollte sie vermieden werden? Dieser Artikel informiert über die Probleme in Bezug auf Ergonomie und Verkehrssicherheit und erklärt, warum große und tiefe Rucksäcke besonders ungünstig sind.

Fahrradbote mit Lastenrucksack auf der Treppe
(Foto: Mart Production / Pexels)

Einfluss auf die Verkehrssicherheit

 

Rucksäcke beeinflussen durch den hohen Schwerpunkt das Fahrverhalten und die Verkehrssicherheit. Sie haben zudem Einfluss auf die Körperhaltung und Sitzposition auf dem Rad. Durch den sperrigen Rucksack kann die Bewegungsfreiheit und damit auch die Kontrolle über das Fahrrad beeinträchtigt sein. Besonders große, tiefe Rücksäcke können den so wichtigen Schulterblick erschweren.

Ergonomische Faktoren beim Transport im Rucksack

 

Große, tiefe Rucksäcke liegen häufig nicht gut am Rücken an und „klappen vom Rücken weg“ – durch die Form der Träger, fehlende Brust- und Beckengurte sowie ihren körperfernen Schwerpunkt. Dadurch entsteht ein Drehmoment. Das Lastgewicht und das Drehmoment zusammen müssen vom Körper der Person, die den Rucksack trägt, aufgenommen werden. Diese Kräfte werden leider häufig nicht auf die stabilen Beckenschaufeln, sondern punktuell in die Lendenwirbelsäule abgeleitet. Zusätzlich verändert sich die Körperhaltung, da ein aktives Gegenhalten notwendig ist, um mit der Last zurechtzukommen. Je länger die Einsatzzeit und je schwerer die Last desto eher sind Schäden am Muskel-Skelett-System möglich.

 

Die Nutzung von kleinen, flachen Rucksäcken, in denen geringe Lasten wie etwa Dokumente körpernah transportiert werden, ist akzeptabel. Diese haben kaum Einfluss auf die Verkehrssicherheit, wenn sie gut am Rücken anliegen und mit Brust- und Hüftgurt fest mit dem:der Fahrer:in verbunden sind. Jedoch sollte auch für diese Art von Rucksack bei der Auswahl auf die Ergonomie – also die Oberkörperlänge und die Länge des Rucksacks – geachtet werden. Außerdem sollte auf gute Polster und Luftzirkulation, sowie adäquate Brust- und Hüftgurte Wert gelegt werden. Besonders für den Hüftgurt empfiehlt sich ein breiter und gepolsterter Riemen, der die Last über das Becken ableiten und so den Rücken entlasten kann.

 

Diese Kriterien würden auch für die großen und tiefen Lastenrucksäcke gelten – dennoch sind sie aus ergonomischer Sicht selbst mit perfekter Ausstattung nicht für den dauerhaften Einsatz am Fahrrad geeignet.

Bevor Lastenrucksäcke auf dem Fahrrad zum Einsatz kommen sollten alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft worden sein. Nur so lassen sich ungünstige Einflüsse auf die Verkehrssicherheit sowie unnötige Belastungen des Muskel-Skelett-Systems zu vermeiden.

Rucksäcke beim Transport auf den letzten Metern zum Ziel

Einseitige Belastungen durch einhändiges Tragen von Lasten sollten vermieden werden – um Lasten ergonomisch auf den letzten Metern zu Kunden:Kundinnen zu bringen, sind auch größere Rucksäcke geeignet. Diese müssen allerdings stabil am Rücken aufliegen und Kanten dürfen nicht drücken. Die Schulterriemen sollen gut eingestellt sein und geschlossene Brust- und Hüftgurte bieten Entlastung für die Schultern und Bandscheiben.

(Grafik: AUVA / Lewin Strobl)

Lastentransport im Rucksack – Empfehlungen:

  • Empfehlung 1: Andere Lösung finden!
    Der Transport in großen, tiefen Rucksäcken ist aus ergonomischen Gesichtspunkten und in Bezug auf Fahrverhalten und Verkehrssicherheit ungünstig. Es sollte also eine alternative Transportmöglichkeit gewählt werden.

 

  • Empfehlung 2: Rucksack für die „letzten Meter“
    Für die letzten Meter der Lieferung – beispielsweise zu Fuß im Stiegenhaus nach oben zu Kunden:Kundinnen – ist der Rucksack eine bessere Lösung, als die Last in einer Hand zu tragen. In diesem Fall handelt es sich nur um eine sehr kurze Strecke und durch den Rucksack wird die einseitige Belastung des Körpers vermieden.

 

  • Empfehlung 3: Flache, körpernahe Rucksäcke
    Flache, körpernahe Rucksäcke haben nur einen geringen Einfluss auf die Verkehrssicherheit. Wichtig ist, dass die Last nur ein geringes Gewicht hat und der Rucksack formstabil am Rücken anliegt.

 

  • Empfehlung 4: Brust- und Hüftgurt nutzen, Schultergurt einstellen
    Der Rucksack – auch wenn er flach und leicht ist – soll nicht auf die Lendenwirbelsäule drücken. Daher muss er über den Schultergurt entsprechend eingestellt werden. Außerdem sollen Brust- und Hüftgurt genutzt werden, damit die Last von den Schultern und den Bandscheiben (besonders im Bereich der Lendenwirbelsäule) genommen und ins Becken abgeleitet werden kann.

Interview mit Prof. Thomas Angeli, TU Wien:

Untersuchung der Wirkung von Lastenrucksäcken auf den Körper

In einer von der AUVA beauftragten Untersuchung wurde geprüft, wie das Tragen der bei Fahrradbotendiensten üblichen, großen Transportrucksäcke sich auf den Körper auswirkt. Professor Thomas Angeli aus dem Forschungsbereich Biomechanik und Rehabilitationstechnik an der TU Wien hat die Untersuchung durchgeführt.

 

Was waren für Sie die wichtigsten Erkenntnisse?

Prof. Angeli: Die oft eingesetzten Transportrucksäcke sind ergonomisch ungünstig gestaltet. Durch den körperfernen Schwerpunkt entsteht starker Zug an den Schulterriemen und hoher Druck, besonders auf den Lendenwirbelbereich. Das konnten wir durch unsere Sensormessungen feststellen. Wir hatten unter anderem ein Rucksackmodell eines bekannten Lieferdienstes im Test und die harte, untere Kante des Rucksacks drückt zusätzlich besonders bei großgewachsenen Personen richtig in den unteren Rücken hinein.

 

Wie wirkt sich das Tragen dieser Transportrucksäcke aus?

Unangenehm ist ein Hilfsausdruck, wenn man so einen beladenen Rucksack trägt. Unsere Probanden haben sofort unangenehmen Druck gefühlt und rasch Schmerzen gehabt. Die Messung der Drucksensoren hat diese Wahrnehmungen bestätigt. Für einige Minuten ist das machbar, doch mit schwererer Last und längerer Belastungsdauer sind Schäden am Muskel-Skelett-System möglich. Das zusätzliche Gewicht durch den Rucksack plus Beladung sollte so nicht auf dem Körper lasten.

 

Sie haben den körperfernen Schwerpunkt erwähnt – wie wirkt sich dieser aus?

Der Hebel ist das Problem: Durch den körperfernen Schwerpunkt bei diesen großen Rucksäcken nimmt die Belastung aufgrund der Hebelwirkung zu. Es wirken nicht nur Beladung und Gewicht des Rucksacks, sondern aufgrund der Hebelwirkung wesentlich mehr auf den Körper ein. Bei höherer Beladung wird diese Belastung sehr schnell ungünstig.

 

Sind Rucksäcke für den Transport am Fahrrad generell ungeeignet?

Lasten sollten bei weiteren Strecken und langen Einsatzzeiten nicht im Rucksack transportiert werden, sondern im Anhänger oder am Fahrrad. Jede zusätzliche Last wird beim Radfahren auch im Gesäß spürbar – wir haben die entsprechenden Druckpunkte beim Kontakt mit dem Sattel gemessen, die Belastung ist auch an dieser Stelle merkbar und nimmt mit steigender Last stark zu. Geringe Lasten in einem guten Rucksack zu transportieren – das geht schon. Was sich sehr ungünstig auswirkt, ist eben die Hebelwirkung beim Boxenrucksack. Auch sonst sind diese Rucksäcke nicht sehr ergonomisch gestaltet.

 

Was fehlt den aktuell verwendeten Boxenrucksäcken?

Die Rucksäcke sollen gut gepolstert sein und zur Rückenlänge passen. Entweder wird bereits eine „kurze“ oder „lange“ Version angeschafft oder der Befestigungspunkt der Schulterriemen am Rucksack kann verändert werden. Damit ist nicht die Länge der Riemen gemeint, die muss natürlich ebenfalls eingestellt werden. Außerdem ist neben dem Brustgurt ein guter Hüftgurt wichtig. Er soll die Hüfte gut umschließen und sollte dafür nicht seitlich an den Boxenrucksäcken angebracht sein, außerdem breit und gepolstert, damit die Last über das Becken abgeleitet werden kann. Wenn man jedoch unsere Ergebnisse berücksichtigt, ist jedenfalls angebracht, die Last vom Rücken wegzubringen, um möglichen Schäden am Muskel-Skelett-System vorzubeugen.

 

Ao.Univ.Prof. Dipl-Ing. Dr.med Dr.techn. Dr.phil Thomas Angeli ist an der TU Wien am Institut für Produktentwicklung und Konstruktionswissenschaften im Forschungsbereich für Biomechanik und Rehabilitationstechnik tätig.

Hier geht es zur Infoseite Fahrradbotendienste – dort finden Sie weitere Informationen und Ressourcen.

Komm gut an – Präventionsschwerpunkt Verkehrssicherheit

Sicher unterwegs – auf dem Weg zur Arbeit (oder zu Übungen und Einsätzen im Dienst der Freiwilligen Feuerwehr) aber auch in die Schule und den Kindergarten – darum geht es in diesem Präventionsschwerpunkt. Informationen finden Sie auf der Komm gut an!-Infoseite.

Bei Fragen zum Thema steht Ihnen das AUVA-Präventionsteam gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter sichereswissen@auva.at