ArbeitnehmerInnenschutz in herausfordernden Zeiten.

Wir befinden uns derzeit in einem Ausnahmezustand. Social distancing lautet das Gebot der Stunde. Wo es irgendwie möglich ist, sollen Menschen im Home-Office ihrer Arbeit nachkommen. Alle sind gefordert, um die von der Regierung gesetzten Maßnahmen umzusetzen. Während viele Betriebe der unterschiedlichsten Branchen auf Notbetrieb umgestellt haben, gibt es Berufsgruppen, für die die aktuell geforderten Verhaltensregeln und Maßnahmen kaum umsetzbar sind: Denn ihre Arbeit zählt zu den „unaufschiebbaren beruflichen Tätigkeiten“. Sie stellen die Versorgungssicherheit für alle anderen sicher – vor allem in den Bereichen Gesundheit, Pflege, Lebensmittelproduktion/-handel und Reinigung – und sorgen für die Aufrechterhaltung der generellen Infrastruktur (öffentlicher Nahverkehr, Strom- und Wasserversorgung, usw. …) sowie für die Sicherheit. In diesen Bereichen kommt es aktuell zu einer sehr hohen Arbeitsbelastung, die das gewohnte Maß weit übersteigt. Die Menschen arbeiten dort momentan auf Hochtouren und – subjektiv wie objektiv – rund um die Uhr.

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Nicht auf den ArbeitnehmerInnenschutz vergessen

Arbeitgeber sind jetzt ganz besonders gefordert, ihre Fürsorgepflicht gemäß ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) wahrzunehmen. Eine hohe psychische Belastung kann kurzfristig bewältigt werden. Aus heutiger Sicht ist noch nicht absehbar, wie lange die derzeitige Ausnahmesituation dauern wird. Je länger diese hohe Belastung anhält, desto höher wird die Beanspruchung, also die Auswirkung auf jede und jeden einzelnen. Unabhängig von einer möglichen Infektion mit dem Virus aufgrund des vermehrten Sozialkontaktes, sind gerade physisch und psychisch stark beanspruchte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Zudem führt diese Ausnahmesituation zu einer Abnahme der Leistungsfähigkeit, was wiederum in Krankenständen (unabhängig von einer möglichen Infektion) und Arbeitsunfällen resultieren kann.

 

Es geht um Bedürfnisse

Es gibt grundlegende Bedürfnisse (wie z. B. Wertschätzung, Verständnis, Zugehörigkeit, Respekt, Rücksichtnahme, Empathie, …), die im Arbeitskontext eine wesentliche Rolle spielen können. Speziell in Ausnahmesituationen, wie der aktuellen, werden diese Grundbedürfnisse weniger erfüllt bzw. sind sogar auf ein Minimum reduziert. Dadurch können Gefühle auftreten, die unser Erleben und Verhalten am Arbeitsplatz negativ beeinflussen: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können besorgt, frustriert, gereizt, hoffnungslos, ungeduldig, verärgert, wütend, … sein. Diese Reaktionen und empfundenen Gefühle sind in besonders belastenden Situationen normal! Sie werden nach Abklingen der Situation, wenn der Alltag wieder einkehrt, nachlassen.

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Wie können Führungskräfte jetzt unterstützen?

Führungskräfte können aktiv dazu beitragen, die Belastung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in dieser herausfordernden Ausnahmesituation zu reduzieren. Folgende Tipps zeigen, wie Sie Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jetzt unterstützen und dadurch entlasten können.

Kommunikation ist in Ausnahmesituationen wichtiger denn je. Führungskräfte sollten dabei folgende Punkte beachten:

In belastenden Situationen herrscht neben dem offensichtlich äußeren Chaos oft auch ein inneres Chaos bei den Personen. Bringen Sie auf den verschiedenen Ebenen Ordnung ins Chaos:

  • Definieren Sie räumliche Abgrenzungen: Wer darf in welche Bereiche hinein? (z. B. Lager, Verkaufsfläche, Kassenbereich, …)
  • Definieren Sie personelle Maßnahmen: Wer ist wofür zuständig? Welche Teams arbeiten in welchen Schichten, damit eine gegenseitige Infektion verhindert werden kann?
  • Kommunizieren Sie diese Maßnahmen! Die Weitergabe von Informationen und miteinander zu reden bringen Klarheit und schaffen Ordnung im Chaos!

Bringen Sie mit einem ruhigen und sicheren Auftreten Ruhe in die Belegschaft, dadurch können auftretende Ängste (z. B. vor einer Infektion) reduziert werden.

Aufgeregte Personen reden schneller, lauter, höher. Im Umgang mit Kundinnen und Kunden sowie mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern können Sie eine mögliche Übererregung reduzieren, indem Sie aktiv versuchen langsamer, leiser, mit einer weniger hohen Stimme zu sprechen. NO-GO: Versuchen Sie auf keinen Fall durch Schreien Ihrem eigenen Frust freien Lauf zu lassen. Das würde die bereits angespannte Situation verstärken und aufschaukeln.

Wenn aktuelle menschliche Bedürfnisse (wie z. B. Wertschätzung, Verständnis, Zugehörigkeit Respekt, Rücksichtnahme, Empathie, …) nicht befriedigt werden können, kommt es primär zu negativen Gefühlen (wie z. B. Besorgtheit, Frustration, Gereiztheit, Hoffnungslosigkeit, Ungeduld, Verärgerung, Wut, …). Versuchen Sie nicht aktiv über diese Gefühle zu sprechen. Alles, worüber gesprochen, worauf der Fokus der Aufmerksamkeit gelenkt wird, kann sich verstärken. So auch Angst und Hilflosigkeit. Reden Sie daher über Fakten, die die konkrete Arbeitssituation betreffen, z. B. in Bezug auf

  • Zeit (z. B. Dienstpläne),
  • Ort (z. B. räumliche Abgrenzung),
  • Personal (z. B. personelle Aufteilung)

Ausnahmesituationen sind oft von einem Gefühl der Orientierungslosigkeit geprägt. Um dem entgegenzuwirken, ist es sinnvoll, die Informationen, die Sie als Führungskraft über aktuelle Abläufe und Prozesse haben, weiterzugeben. Es müssen keine vollständigen Informationen sein. Die Situation ändert sich von Tag zu Tag: Schaffen Sie daher die Möglichkeit, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden Tag über aktuelle Neuigkeiten zu informieren – auch wenn es nicht viel Neues zu berichten gibt. Z. B.

  • Wie sieht es mit den bestellten Lieferungen aus?
  • Wie sieht es mit der generellen Versorgungskette aus? (Lebensmittelproduktion wurde erhöht, Zulieferer/Zentrallager bekommen ebenso Unterstützung, …)
  • Welche Schutzmaßnahmen wurden bereits getroffen bzw. werden noch getroffen? (z. B. Zugangsbeschränkungen, Desinfektionsmaßnahmen/Reinigung, vorhandene Schutzausrüstung, gestaffelte Pausenregelung, Umgang mit älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Schwangeren, Personen mit Vorerkrankungen, …)
  • Hinweis, wie man sich selbst und andere Personen schützen kann (Hygienemaßnahmen wiederholen!)

Wenn Sie keine Antwort auf eine Frage haben, geben Sie eine zeitliche Information und terminisieren Sie, wann die nächsten Informationen kommuniziert werden (z. B. „Es ist keine neue Info eingetroffen.“, „Heute um 18:00 Uhr / Morgen um 10:00 Uhr werden wir das nächste Mal die aktuelle Lage besprechen.“). Thematisieren Sie dabei nach Möglichkeit nur jene Themen, die für den Umgang mit der aktuellen Situation relevant sind.

Geben Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Aufgaben. Ausnahmesituationen wie die aktuelle führen leicht zu einem Kontrollverlust und dem Gefühl der Hilflosigkeit bei den Menschen. Seien Sie sich bewusst, dass in Ihrer Branche gerade sehr viel zu tun ist. Dies gibt aber auch eine gewisse Kontrolle zurück, weil man einen Beitrag leisten kann. Vermitteln Sie Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Gefühl, dass ihre Arbeit wichtig und für die Gesellschaft unverzichtbar ist: „Unsere Aufgabe ist es die Menschen in dieser außergewöhnlichen Situation zu versorgen.“

Schauen Sie aufeinander!

Trotz der besonderen Herausforderungen ist es wichtig, aufeinander zu achten. Reflektieren Sie im Team darüber, was heute alles gemeinsam geschafft wurde! Streichen Sie hervor, was Ihnen als Team gut gelungen ist und fokussieren Sie darauf. Das wirkt sich positiv auf die psychische Widerstandsfähigkeit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus. Unterstützen Sie als Führungskraft den Austausch unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Denn Personen, die „im selben Boot“ sitzen, können die aktuelle Situation am besten nachvollziehen. Dieser Austausch kann zusätzlich zu einer psychischen Entlastung beitragen. Neben den zuvor genannten Punkten sollten Sie als Führungskraft unbedingt auf die Schutzmaßnahmen achten und Ihr Team regelmäßig auf deren Einhaltung hinweisen – zur Sicherheit und Gesundheit aller!

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Bei Fragen zur Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz stehen Ihnen die AUVA-Präventionsexpertinnen und -experten unter sichereswissen@auva.at gerne zur Verfügung.

(Quelle: C. Hausmann (2016), Interventionen der Notfallpsychologie. Wien: Facultas)

(Beitrag erschienen am 24.03.2020)