Die Corona-Pandemie hat zu veränderten Belastungssituationen im Arbeitsalltag geführt. Die Evaluierung psychisch bedingter Belastung hilft Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern dabei, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im eigenen Unternehmen bestmöglich im Umgang mit diesen Belastungen zu unterstützen.
Während der letzten Monate hat das Coronavirus für große Veränderungen gesorgt. Nicht nur im Privatleben durch „social distancing“-Maßnahmen, sondern auch in der Arbeitswelt ist es zu Einschränkungen und damit einhergehend zu einer Veränderung der Belastung gekommen. Mit dem Ziel, die Krise so gut wie möglich zu bewältigen, arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor allem in systemrelevanten Bereichen bis an ihre Grenzen – oder sogar darüber hinaus. Lange Arbeitszeiten, Überstunden und ein erhöhtes Infektionsrisiko stellen dabei eine besondere Belastung für sie dar. Doch auch viele andere Branchen sind – aufgrund von Schutzmaßnahmen oder durch den Rückgang von Aufträgen – mit organisatorischen Anpassungen, wie Home-Office oder Kurzarbeit, konfrontiert. Während von Kurzarbeit betroffene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von massiver Unsicherheit in Bezug auf den eigenen Arbeitsplatz belastet sind, stehen jene, die im Home-Office arbeiten, vor der Herausforderung, sich einen neuen, strukturierten Alltag aus Arbeit, Familie und Kinderbetreuung zu schaffen. Und das, ohne dabei die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben zur Gänze verschwimmen zu lassen.
Evaluierung schafft Überblick über die Belastungen
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sollten sich daher einen Überblick darüber verschaffen, welche belastenden Veränderungen sich für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im eigenen Betrieb ergeben haben. Eine gute Möglichkeit dafür ist, sich wieder mit der Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastung auseinanderzusetzen. Diese ist seit der Novelle des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (vgl. § 4 Abs. 1 ASchG) im Jänner 2013 verpflichtend durchzuführen. Dabei geht es nicht darum, Arbeitszufriedenheit, Burn-Out, Leistung, Stress oder Ähnliches bei einzelnen Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern zu messen, sondern die Arbeitsbedingungen und Arbeitsverhältnisse im jeweiligen Unternehmen anzupassen und zu verbessern. Stehen diese im Fokus, stehen auch die Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Fokus.
Um besonders Klein- und Mittelunternehmen einen Anhaltspunkt zu geben, welche Schritte die Evaluierung arbeitsbedingter psychischer Belastung umfasst, worauf dabei zu achten ist, wie sie die Evaluierung am besten angehen können und welches Verfahren für den jeweiligen Betrieb am besten geeignet ist, haben wir folgende Übersicht und Entscheidungshilfe für Sie zusammengestellt:
Phasen und Schritte der Evaluierung
Für eine erfolgreiche Evaluierung sollte eine Ansprechperson bzw. ein Steuerungsteam (z. B. Arbeitgeber, Sicherheitsfachkraft, Arbeitsmedizin, Sicherheitsvertrauensperson, Betriebsrat) folgende Phasen und Schritte begleiten:
- Planung und Vorbereitung,
- Ermittlung, Belastungskonkretisierung und Maßnahmenableitung sowie
- Maßnahmenumsetzung, Dokumentation und Wirksamkeitskontrolle.
Phase I:
Planung und Vorbereitung
Zu Beginn ist es notwendig, Tätigkeitsgruppen zu bilden. Da unterschiedliche Tätigkeitsgruppen unterschiedliche Belastungsfaktoren haben, sollte die Erhebung der Belastungsfaktoren getrennt für jede Tätigkeitsgruppe durchgeführt werden. Ziel ist, dass jede Tätigkeitsgruppe in sich möglichst homogen ist und sich von anderen Tätigkeitsgruppen deutlich unterscheidet.
Folgende Kriterien können dabei zum Beispiel zu jeweils einer Tätigkeitsgruppe zusammengefasst werden:
- gleiche bzw. vergleichbare Tätigkeiten (Arbeitsinhalte, -mittel, …)
- gleiche Hierarchie-Ebene (Führungsebene, Bereichsleitung, Teamleitung, Angestellte, Arbeiterinnen und Arbeiter, …)
- gleiche Arbeitsumgebung (Büro, Home-Office, Produktion, Montage, Baustelle, …)
Um aussagekräftige Ergebnisse zu bekommen, ist bei der Evaluierung die Verwendung standardisierter Verfahren (vgl. ÖNORM EN ISO 10075) erforderlich. Die Auswahl der geeigneten Verfahren muss die Größe der jeweiligen Tätigkeitsgruppe berücksichtigen.
Folgende Erhebungsmethoden stehen zur Verfügung:
- Einzel- / Kleingruppeninterview
- Gruppeninterview
- Fragebogen
Übersicht: Verfahren, die von der AUVA kostenfrei zur Verfügung gestellt werden:
Phase II:
Ermittlung, Belastungskonkretisierung und Maßnahmenableitung
Die Ermittlung der Belastungsfaktoren sowie die Auswertung erfolgen gemäß dem Handbuch des jeweiligen Verfahrens. Vor der Maßnahmenableitung ist eine Belastungskonkretisierung (präzise Beschreibung der Belastungsfaktoren) notwendig. Diese kann bei Einzel- bzw. Gruppeninterviews während der Ermittlung erfolgen; bei einer Fragebogenerhebung muss sie in einem weiteren Schritt (zum Beispiel mittels eines Workshops) durchgeführt werden.
Die Festlegung der Maßnahmen sollte ursachenbezogen erfolgen und eine Verbesserung für möglichst viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bringen. In Bezug auf die Maßnahmenableitung gilt (vgl. Grundsätze der Gefahrenverhütung § 7 ASchG):
- Verhältnis- vor Verhaltensorientierung
- bedingungs- vor personenbezogen
Phase III:
Maßnahmenumsetzung, Dokumentation und Wirksamkeitskontrolle
Sämtliche abgeleitete Maßnahmen sind gemäß § 5 ASchG im Sicherheits- und Gesundheitsschutzdokument schriftlich festzuhalten. Dabei müssen unter anderem Angaben über den Zeitraum der Evaluierung, Anzahl der Beschäftigten in den jeweiligen Tätigkeitsgruppen, die festgestellte psychische Belastung, getroffene Maßnahmen sowie die Umsetzungsfrist und die Zuständigkeit (§ 2 Abs. 1 DOK-VO) erfolgen.
Die Ermittlung und Beurteilung der Belastung bei der Arbeit und das Setzen von Maßnahmen ist kein einmaliger Vorgang, sondern ein kontinuierlich ablaufender Prozess. Daher hat nach erfolgter Umsetzung eine Kontrolle der Wirksamkeit dieser Maßnahmen und erforderlichenfalls eine Anpassung zu erfolgen (vgl. Wirksamkeitsüberprüfung § 4 (4) ASchG). Dabei ist immer eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen anzustreben.