Wir alle sollten die gleichen Chancen auf einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz haben. Umso wichtiger ist es, geschlechtsspezifische Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten im Arbeitnehmer:innenschutz und in der Arbeitsplatzevaluierung zu berücksichtigen. Doch was sind geschlechtergerechte Arbeitsbedingungen überhaupt? Welche Aspekte sollten diesbezüglich in die Evaluierung des Arbeitsplatzes einfließen? Und was hat das „Yentl-Syndrom“ damit zu tun? All das erfahren Sie hier. 

Illustration: Zwei lächelnde Personen vor einem bunten All-Gender-Symbol
(Illustration: V.Drda)

Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (§ 4 ASchG) als rechtliche Grundlage für Arbeits- und Sicherheitsschutz am Arbeitsplatz fordert die Berücksichtigung von Genderaspekten in der Evaluierung von Gefahren und Belastungen und die entsprechende Festlegung von Schutz- und Präventionsmaßnahmen.

 

In Österreich ist die Gleichstellung von Frauen und Männern als Staatszielbestimmung seit 1998 in Artikel 7 Abs. 2 der österreichischen Bundesverfassung verankert. Das ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (§ 4 ASchG) als rechtliche Grundlage für Arbeits- und Sicherheitsschutz am Arbeitsplatz fordert die Berücksichtigung von Genderaspekten in der Evaluierung von Gefahren und Belastungen und eine entsprechende Festlegung der Schutz- und Präventionsmaßnahmen. Die Einbeziehung der Genderperspektive muss dazu auf allen betrieblichen Ebenen, bei allen Tätigkeiten und in allen Arbeitnehmer:innenschutzbereichen erfolgen. Das heißt, eine geschlechtsspezifische (w / m / d) Evaluierung und Risikoanalyse, die unterschiedliche Arbeits- und Lebenssituationen sowie Interessen berücksichtigt ist sinnvoll, denn ein geschlechtsneutraler Ansatz im Arbeitnehmer:innenschutz kann dazu führen, dass Risiken für Beschäftigte nicht ausreichend wahrgenommen werden.

 

Einige Unternehmen und Verwaltungen befassen sich bereits mit verschiedenen Konzepten der Gleichstellung. Wir kennen das unter den Begriffen „Diversity Management“, „Gender Mainstreaming“, „Frauenförderung“, oder „Chancengleichheit“. Diversität meint dabei das Ausmaß an Unterschieden zwischen den Mitgliedern einer Gruppe, eines Teams, einer Abteilung, einer Organisation etc. Diese Unterschiede können aus verschiedenen Dimensionen resultieren z. B. Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Religion, Beruf oder Bildung.

 

Was versteht man unter den Begriffen „Sex“ und „Gender“?

 Diese bestimmen unser äußeres Erscheinungsbild. Über das angeborene biologische Geschlecht hinaus erwerben Frauen, wie Männer im Laufe ihres Lebens noch eine soziale Geschlechterrolle. „Gender“ meint das soziale Geschlecht, die gesellschaftlich geprägte und individuell erlernte Geschlechterrolle. Diese Geschlechterrolle wird durch die soziale, kulturelle und wirtschaftliche Organisation einer Gesellschaft und durch die in ihr geltenden rechtlichen und ethisch-religiösen Normen sowie Werte bestimmt. Im Gegensatz zum biologischen Geschlecht sind Geschlechterrollen von Frauen und Männern wandelbar. Soziales und biologisches Geschlecht beeinflussen sich wechselseitig. Durch die LGBTQ+ Bewegung werden wir viel stärker sensibilisiert, dass die unterschiedliche Ausprägung der Geschlechter nicht nur auf biologischer, sondern auch auf sozialer Ebene aufschlägt und wir heute von männlich, weiblich sowie divers sprechen.

Illustration der Genderbread Person
Die Genderbread Person ist eine Figur von Jack Killerman, die den Unterschied zwischen sexueller Identität, Geschlechtsausdruck, anatomischem Geschlecht, Geburtsgeschlecht, Geschlechtsausdruck und sexueller Orientierung mit Hilfe einer Lebkuchenfigur erklärt. (Illustration: uncopyrighted)

Entstehung von Stereotypen

Frauen und Männer haben über Jahrhunderte hinweg eine sozial erlernte „Geschlechterrolle“ verinnerlicht. Die Rolle kann so stark verankert sein, dass sie zum Großteil unsere Wahrnehmung, unser Kommunikationsverhalten und unsere Handlungsoptionen bestimmt. Dabei werden Männern und Frauen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Frauen gelten zum Beispiel als „teamfähig“, „sozial und emotional kompetent“ oder „diplomatisch“ während Männern vor allem, „Durchsetzungskraft“, „Risikobereitschaft“, „strategisches Denken“ oder „räumliche Vorstellungskraft“ zugeschrieben werden. Einige Studien zeigen, dass wir dazu neigen Menschen, die einen höheren Status genießen, mehr Kompetenz zuzuschreiben, als solchen mit geringerem Status (Krell, Ortlieb & Sieben 2011; Fried, Wetzel & Baitsch 2000). Werden Menschen ausschließlich anhand eines Merkmals unterschieden, z. B. Mann bzw. Frau, Status (geringer vs. hoher) oder Herkunft (Nationalität) und daran weitere Vermutungen und Bewertungen geknüpft, entstehen Stereotype. Untersuchungen jedoch belegen, dass stereotype Charaktereigenschaften sowie Talente und Fähigkeiten, die geschlechtsspezifisch Frauen oder Männern zugeschrieben werden, nicht existieren. Die Bandbreite innerhalb eines Geschlechts ist viel größer als zwischen den Geschlechtern (Hirnstein & Hausmann 2010; Lozo 2010). Unter Berücksichtigung des Gender-Aspektes bedeutet es problematische und diskriminierende Wahrnehmungsmuster anhand des biologischen oder sozialen Geschlechts zu identifizieren bzw. zu vermeiden. Da diese Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern nicht auf biologische Ursachen zurückzuführen sind, sondern auf äußere Bedingungen und traditionelle gesellschaftliche Erwartungen, sind sie auch veränderbar.

 

Im Zuge des „Diversity Managements“ sollten geschlechterspezifische Rollenzuschreibungen und damit verbundene traditionelle gesellschaftliche Erwartungen auch im Berufsleben und am Arbeitsplatz hinterfragt werden und biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern nach wissenschaftlichen Erkenntnissen berücksichtigt werden. Da Gender-Themen und die damit verbundenen Wahrnehmungs-, Deutungs- und Bewertungsmuster sich auf direktem Wege oft schwer erschließen lassen, kann der Zugang über die Analyse der Organisationskultur eine erste Bestandsaufnahme sein.

 

Beispiele für Fragen zur gemeinsamen Analyse der Organisationskultur:

(Grimm & Brodersen 2016; Nielbock 2013)

  • Welche Unterscheidungen/Kategorisierungen werde organisational relevant gemacht?
  • Wie sind Frauen, Männer, Menschen in der Organisation repräsentiert?
  • Wie sind Belastungen verteilt?
  • Wer verfügt über welche Ressourcen?
  • Wer erhält Anerkennung wofür?
  • Wessen Werte und Interessen sind in der Unternehmenskultur, in Strukturen und Regeln/Praktiken realisiert?

 

Nach Geschlecht segregierter Arbeitsmarkt

In Österreich besteht noch immer eine starke Geschlechtersegregation (Geschlechtertrennung) am Arbeitsmarkt, das heißt, viele Beschäftigte arbeiten in sogenannten „Frauen-“ oder „Männerberufen“ und sind somit überproportional in bestimmten Branchen und Tätigkeitsfeldern vertreten.

 

So arbeiten Frauen häufiger als Männer in Dienstleistungsberufen, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie im Niedriglohnsektor. Die Teilzeitquote von Frauen ist mit 49,6 % wesentlich höher als bei Männern mit 11,6 %. Dass Frauen wesentlich häufiger in Teilzeit arbeiten, ist der Tatsache geschuldet, dass der überwiegende Anteil an unbezahlter „Care Arbeit“, wie Kinderbetreuung, Versorgung von zu pflegenden Angehörigen und Hausarbeit von Frauen verrichtet wird, damit sind sie auch häufiger einer Doppelbelastung ausgesetzt. Frauen schaffen selbst bei gleichem Bildungsniveau seltener als Männer den Aufstieg in Führungspositionen und in vielen Branchen kann bei gleichwertiger Tätigkeit eine Lohndifferenz („Gender Pay Gap“) festgestellt werden. Das hat zur Folge, dass Frauen tätigkeitsbezogenen Belastungen wie z. B. körperlicher Schwerarbeit, ungünstigen Körperhaltungen (Zwangshaltung), Emotionsarbeit und einem Risiko der Belästigung und Gewalt ausgesetzt sind. Tätigkeitsbezogene und tätigkeitsunabhängige Belastungen wie Unsicherheit des Arbeitsplatzes und Fürsorgepflicht in der Familie sind Risiken, die sich auf die körperliche und psychische Gesundheit negativ auswirken können.

 

Gender Health Gap

Frauen leben in Österreich im Durchschnitt 5 Jahre länger als Männer, aber verbringen mehr Lebensjahre in schlechter Gesundheit als Männer, obwohl Frauen nachweislich gesundheitsbewusster agieren. Die Gründe dafür sind vielfältig, neben den biologischen Unterschieden bedingt durch genetische und hormonelle Faktoren, beeinflusst die psychosoziale Situation die Gesundheit geschlechtsabhängig. Das heißt „Frauen werden anders krank als Männer“, aber die meisten medizinischen Studien basieren auf Männerdaten. Dadurch werden Krankheiten bei Frauen bis heute schlechter erkannt bzw. missinterpretiert und als Folge oft nicht optimal behandelt. Das medizinische Wissen hinsichtlich Krankheitsbilder, Diagnose, Prävention und Therapie orientierte sich lange am männlichen Prototyp35 Jahre alt, 80 kg schwer, weiß und männlich“.

 

Aus dem Bestreben, den Menschen differenzierter zu betrachten, entwickelte sich die Gendermedizin. Heute untersucht die Gendermedizin alle wissenschaftlichen Erkenntnisse daraufhin, ob sie für Frauen, Männer und alle Diversity-Gruppen in gleicher Weise zutreffen. So lassen sich Unterschiede, aber auch Gemeinsamkeiten feststellen.

 

Beispiele für geschlechtsspezifische Aspekte in der Medizin:

Schon 1991 wurde das „Yentl Syndrom“ von Dr. Bernadine Healy beschrieben. Sie spielte damit auf den Film „Yentl“ an, in dem sich die Hauptdarstellerin als Mann verkleiden muss, um studieren zu dürfen. Healy zog eine Parallele zur Behandlungsqualität von Herzinfarkten: Frauen sollten sich am besten als Männer verkleiden, um als Herzpatientin optimal versorgt zu werden, da weibliche Symptome weniger dringlich eingestuft würden als die der Männer.

 

Bis in die 1990er Jahre wurden Herzmedikamente nur für und an Männern getestet mit der Konsequenz, dass die Wirksamkeit bei Frauen nicht gegeben war. Kardiologische Erkrankungen weisen geschlechtsabhängig andere Entwicklungen und andere Symptome auf: Bei einem Herzinfarkt sind weibliche Patientinnen im Schnitt 10 Jahre älter als männliche. Ihre Schmerzen sind oft unspezifisch, vegetativ. Brustschmerzen stehen dabei nicht so im Vordergrund, daher wird ein Herzinfarkt oft zu spät erkannt. Als „Schmerzlücke“ bezeichnet man diesen Umstand, dass Frauen mit Schmerzen weniger ernst genommen werden als Männer. Daten belegen, dass Frauen bei Schmerzerkrankungen häufiger Beruhigungsmittel als Schmerzmittel verordnet bekommen und später als Männer eine adäquate Behandlung erfahren. Männliche Depression („Male Depression”) weist andere Leitsymptome auf als gemeinhin mit Depression assoziiert wird und wird oft nicht diagnostiziert. Auch im Suchtverhalten unterscheiden sich die Geschlechter, so zeigt sich Alkoholabhängigkeit bei Männern häufiger als bei Frauen während Medikamentenabhängigkeit bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert wird, was auch mit der höheren Verschreibungsdichte von Beruhigungsmitteln in Zusammenhang gebracht werden kann.

(Foto: fauxels/pexels)

Arbeitnehmer:innenschutz und geschlechtsspezifische Evaluierung des Arbeitsplatzes

Auch bei Arbeitsmitteln ist auf die ergonomischen Unterschiede zu achten. Arbeitsmittel müssen zur Verfügung gestellt werden und sie müssen nach ergonomischen Grundsätzen für alle Anwender:innen geeignet sein. Ergonomische Arbeitsplätze sind menschengerecht gestaltet, d.h. sie berücksichtigen ein großes Spektrum an körperlichen Merkmalen wie z. B. Größe und Kraft. Um die Arbeitsplätze an die Bedürfnisse des Menschen anzupassen, werden anthropometrische Daten genutzt. Anhand dieser Daten können Arbeitsplätze körpermaßgerecht dimensioniert werden und sinnvolle Einstellbereiche von Arbeitsmitteln oder Sicherheitsabständen abgeleitet werden.

 

Bei der Ermittlung und Beurteilung von Risiken, welche sich durch unterschiedliche Körperkräfte ergeben, sind dementsprechende Analyseverfahren anzuwenden. So sind z. B. in vier der sechs neuen Leitmerkmalmethoden (Heben &Tragen, Ziehen & Schieben, Ganzkörperkräfte, Körperfortbewegung) Faktoren hinterlegt, um die unterschiedlichen physiologischen Leistungsgrenzen von Frauen und Männern abzubilden. Das betrifft zwar vordergründig Unterschiede aufgrund des Geschlechts allerdings können Körperkraft oder Körpermaße zwischen Männern oder Frauen ebenso stark variieren. Auch wenn ein standardisiertes Analysetool verwendet wird, muss bedacht werden, dass darüber hinaus Unterschiede zwischen Beschäftigten bestehen können und selbst innerhalb einer Gruppe „Ausreißer“ auftreten können.

 

Im Zusammenhang mit Persönlicher Schutzausrüstung (PSA) gibt es speziell für Frauen konzipierte Auffanggurte (PSA gegen Absturz), welche die weibliche Anatomie berücksichtigen und dadurch die Anwenderin bei der Verwendung bzw. im Notfall vor Verletzungen schützen. Auch durch eine Schwangerschaft und die Zeit danach ergeben sich zusätzliche Risiken für Frauen aufgrund der körperlichen Veränderungen Als Beispiel einer besonderen Persönlichen Schutzausrüstung wird auf spezielle Sicherheitsgurte für die Verwendung in Fahrzeugen hingewiesen, welche den „Babybauch“ von werdenden Müttern bei einem Autounfall besser schützen als konventionelle Sicherheitsgurte.

 

Die gesetzlich verpflichtende Arbeitsplatzevaluierung bezieht sich nicht nur auf die Verwendung von Arbeitsstoffen, Arbeitsverfahren und Arbeitsvorgänge, den Einsatz der Arbeitsmittel, die Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätte usw. Die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren beinhaltet auch die Eignung der Arbeitnehmer:innen hinsichtlich Körperkraft, Alter und Qualifikation. Zudem wird im Arbeitnehmer:innenschutzgesetz darauf hingewiesen, insbesondere spezifische Gefahren für Frauen zu beachten. Aufbauend auf die Ermittlung und Beurteilung der Gefahren, sind erforderliche Maßnahmen abzuleiten und festzulegen, um diese Gefahren zu beseitigen oder zumindest entsprechend zu minimieren.

 

Risikoanalyse nach dem Modell der EU-OSHA

Die Risikoanalyse nach dem Modell der EU-OSHA gliedert sich in fünf Schritte. Geschlechteraspekte können darin, wie hier beispielhaft dargelegt, berücksichtigt werden:

 

Schritt 1: Identifizierung der Gefahren

Gesundheits- und Sicherheitsgefahren sind zu identifizieren. Die gesamte Arbeitnehmer:innenschaft, d. h. inkl. Teilzeit- und externen Arbeitskräften sowie Personen, die sich zum Zeitpunkt der Analyse im Krankenstand befinden, sind bei der Risikoanalyse zu berücksichtigen. Es sollen alle Arbeitnehmer:innen auf strukturierte Weise darüber befragt werden, welche Probleme sie bei ihrer Arbeit haben.

Zu beachten: Durch Vorannahmen über Tätigkeiten können Belastungen übersehen werden: Haben Frauen und Männer die gleiche „job description“, kann es dennoch vorkommen, dass Tätigkeiten nach Geschlecht aufgeteilt werden und daher unterschiedliche Belastungen einwirken. Männliches Reinigungspersonal ist z. B. häufiger mit dem Fahren von Aufsitz-Scheuersaugmaschinen befasst (mögl. Belastung durch Vibrationen) als weibliches Personal. Das Reinigen von Toiletten hingegen wird häufiger von Frauen durchgeführt (mögl. Belastung durch Körperzwangshaltung).

 

Schritt 2: Risikobewertung

Bewertet werden die tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten und das Arbeitsumfeld der einzelnen Arbeitnehmer:innen. Damit Risiken möglichst objektiv bewertet werden, sollen Annahmen über Belastungen allein aufgrund von Tätigkeitsbeschreibungen oder -bezeichnungen vermieden werden. Die Bewertung der Risiken sollte sich vielmehr auf die tatsächlich ausgeführten Tätigkeiten und das tatsächliche Arbeitsumfeld beziehen. Wichtig ist, dass auch Frauen am Risikobewertungsprozess beteiligt werden und, dass jene Personen, die die Risikobewertung durchführen, über ausreichende Kenntnisse zu geschlechtsspezifischen Aspekten im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes verfügen.

 

Schritt 3: Umsetzung von Lösungen

Die identifizierten und bewerteten Risiken werden mit Maßnahmen hinterlegt. In Bezug auf den Genderaspekt sind dabei Unterschiede zu berücksichtigen und entsprechende Präventionsmaßnahmen anzupassen, beispielsweise bei der Auswahl der Persönlichen Schutzausrüstung (PSA) und Arbeitskleidung. Frauen sind auch in dieser Phase der Risikoanalyse – bei der Entscheidungsfindung und der Umsetzung von Lösungen – unbedingt miteinzubeziehen.

 

Schritt 4 und 5: Überwachung und Überprüfung

Es gilt festzustellen, ob die Wirksamkeit der gesetzten Maßnahmen gegeben ist, ob sich identifizierte Risiken geändert haben bzw. neue hinzugekommen sind. Zudem sollen die Rahmenbedingungen eruiert werden, d. h. die Berücksichtigung neuer Informationen oder Erkenntnisse zu geschlechtsspezifischen Themen im Bereich Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit. Unfallmeldungen gelten als wichtiger Indikator für die Überwachung von Risiken In Bezug auf die Genderthematik sollen Arbeitnehmer:innen dazu ermutigt werden, neben Arbeitsunfällen auch andere Aspekte im Kontext der Arbeit zu melden – demnach Vorfälle im Zusammenhang mit Genderaspekten, beispielsweise sexuelle Diskriminierung, Gewalt am Arbeitsplatz, sexuelle Belästigungen usw.  Die bei der „Überwachung und Überprüfung“ gewonnenen Erkenntnisse werden wiederum zur Identifizierung der Risiken genutzt und damit beginnt der Risikoanalyseprozess von Neuem, wodurch die iterative Eigenschaft der Risikoanalyse verwirklicht wird.

 

Fazit

Die Berücksichtigung eines geschlechtsspezifischen Ansatzes bei der Arbeitsplatzevaluierung ist eine gesetzliche Forderung, die das Ziel hat, Gefährdungen oder Risiken ganzeinheitlich zu erfassen und dadurch den Sicherheits- und Gesundheitsschutz für alle Arbeitnehmer:innen zu gewährleisten. Die daraus resultierenden Präventionsschutzmaßnahmen lassen sich leichter verwirklichen, wenn auf allen technischen sowie organisatorischen Ebenen „Gender Mainstreaming“ in der betrieblichen Sicherheits- und Gesundheitsschutzpolitik verankert ist. Ein gendergerechter Arbeitsplatz, der mit dem Setzen von gendersensiblen Präventionsmaßnahmen gleichermaßen das soziale wie auch das biologische Geschlecht berücksichtigt, führt zu einer Verbesserung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz für alle. In Zeiten des demografischen Wandels und einem spürbaren Fach- bzw. Arbeitskräftemangel kann nicht zuletzt die Attraktivität von Unternehmen als Arbeitgeber:innen gesteigert werden, wenn sie sich mit Diversität am Arbeitsplatz auseinandersetzen.

Autoren:Autorinnen dieses Beitrags (in alphabetischer Reihenfolge):

  • Dr.in Isabel Kaufmann, Arbeitsmedizinerin, AUVA-Hauptstelle
  • Arpad Laczko BSc, MA, Sicherheitsfachkraft, AUVA-Hauptstelle
  • Mag.ᵃ Irene Lanner, Arbeitspsychologin, AUVA-Landesstelle Salzburg
  • Anne Mück, MSc, Fachbereich Ergonomie, AUVA-Landesstelle Wien

Bei Fragen zur Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz steht Ihnen das AUVA-Präventionsteam gerne zur Verfügung. Kontaktieren Sie uns unter: sichereswissen@auva.at

Literatur, Quellen:

  • Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin 2019: MEGAPHYS – Mehrstufige Gefährdungsanalyse physischer Belastungen am Arbeitsplatz. Band 1, 1. Auflage. Dortmund
  • Bundesgesetz über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeit (ArbeitnehmerInnenschutzgesetz – ASchG)
  • Bundeskanzleramt Österreich, Verfassungsrechtliche Grundlagen für Gleichbehandlung, Art 2 des Staatsgrundgesetzes, Art 7 des Bundesverfassungsgesetzes, Art 14 Europäische Menschenrechtskonvention, bundeskanzleramt.gv.at
  • DIN 33402-2 Ergonomie – Körpermaße des Menschen – Teil 2: Werte
  • Erwerbstätigkeit – STATISTIK AUSTRIA – Die Informationsmanager
  • Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: Factsheet 43 – Die Berücksichtigung des Geschlechteraspekts bei der Risikoanalyse
  • Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz: Geschlechterspezifische Aspekte der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit – Eine zusammenfassende Darstellung
  • Frauengesundheitsbericht 2022, BMSGPK
  • Frauen und Männer in Österreich, Zahlen, Daten Fakten 2020, Bundeskanzleramt
  • Fried, A., Wetzel, R. & Baitsch, C. (2000). Wenn zwei das Gleiche tun… Diskriminierungsfreie Personalbeurteilung. Zürich: vdf Hochschulverlag.
  • Geschlechterperspektiven in der Medizin, Ärztinnenbund, 63.JG, ISSN0341-2458
  • Grimm, S. & Brodersen, S. (2016). iga. Fakten 8. Potentiale der Vielfalt in der Prävention und betrieblichen Gesundheitsförderung. Dresden: iga.Healy, B. (1991) Das Yentl-Syndrom. Das New England Journal of Medicine, 325, 274-276.http://dx.doi.org/10.1056/NEJM199107253250408
  • Hirnstein, M. & Hausmann, M. (2010). Kognitive Geschlechtsunterschiede. In Steins, G. (Hrsg.) Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 69-86.
  • IEA – International Ergonomics Association Webinar #8: Why you should consider sex/gender in your MSDprevention efforts https://www.youtube.com/watch?v=n0CYjK4mTYc
  • Krell, G., Ortlieb, R. & Sieben, B. (Hrsg.) (2011). Chancengleichheit durch Personalpolitik (6. Auflage). Wiesbaden: Gabler.
  • Kutzner, E. (2016). Diversity Management aus gleichstellungspolitischer Perspektive – das „Online-Tool Diversity“ als ein erster Interventionsschritt in Unternehmen. In S. Smykalla & D. Vinz (Hrsg.), Intersektionalität zwischen Gender und Diversity (S. 261-280), 4. Auflage. Münster: Verlag Westfälisches Dampfboot.
  • Lozo, L. (2010). Emotionen der Geschlechter: Ein fühlbarer Unterschied? In Steins, G. (Hrsg.) Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 43-54.
  • MedinLive, 8.6.2022, Gendermedizin, OA Dr. Jürgen Harreiter, Gender Medicine Unit, Med Uni Wien
  • Nielbock, S. (2013). Geschlechtersensibler Arbeits- und Gesundheitsschutz in der Altenpflege. Berlin.
  • Nothbaum, N. & Steins, G. (2010). Nicht sexistischer Sprachgebrauch. In Steins, G. (Hrsg.): Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften, S. 409-415.
  • ONR CEN ISO/TR 7250-2: Wesentliche Maße des menschlichen Körpers für die technische Gestaltung Teil 2: Anthropometrische Datenbanken einzelner nationaler Bevölkerungen
  • Steins, G. (2011). Gender in der Psychologie: Zur Diskrepanz zwischen Erkenntnisstand und Implementierung in die Fachkultur, in: Journal Netzwerk Frauen- und Geschlechterforschung NRW Nr. 29, 50-53.
  • The Gender Pain Gap, PubMed(nih.gov), DOI: 10,1177/1403494820987466