Wie Unternehmen Mitarbeitende in Extremsituationen am Arbeitsplatz unterstützen können.

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Arbeitsunfälle, Gewaltandrohungen oder gewalttätige Übergriffe – leider kann jede:r Mitarbeitende im beruflichen Alltag mit plötzlich auftretenden Notfallsituationen konfrontiert werden. Dabei handelt es sich um potenziell traumatisierende Ereignisse beziehungsweise besonders belastende Erlebnisse im Zusammenhang mit der Arbeit.

Ein Beispiel:

Es ist 22:45 Uhr, als in einem Produktionsbetrieb in der Nachtschicht kurz nach Schichtübergabe aufgrund einer Störung ein Produktionszyklus unterbrochen wird. Um die Störung zu beheben, muss ein Schutzzaun demontiert werden. Da sich die Anlage bereits im Stillstand befindet, fällt den Mitarbeitenden nicht auf, dass diese nicht abgeschaltet und gegen Inbetriebnahme gesichert wurde.

Die Ursache des Anhaltens: Ein Schwenkarm hat die erforderliche Endposition nicht erreicht. Daher schieben die Mitarbeitenden diesen händisch in die notwendige Endposition. Das setzt die Anlage wieder in Gang – obwohl sich die beiden Personen noch in der Gefahrenzone befinden. Eine der beiden Personen droht von dem Schwenkarm eingeklemmt zu werden. Für die zweite Person scheint die Zeit stillzustehen. Es kommt ihr nur ein Gedanke in den Sinn: Was soll ich tun?

In Notfallsituationen, wie der oben geschilderten, befindet sich der Mensch im Krisenmodus. Da schnelles Handeln gefordert ist, bleibt kaum Zeit, um rational zu denken. Eine gute Notfallplanung ist unerlässlich, um Denk- und Handlungsfehler zu vermeiden und möglichst rasch die notwendigen Schritte setzen zu können.

Wie in den betriebsinternen Notfallübungen immer wieder trainiert, ruft der zweite Mitarbeiter sofort um Hilfe. Die Rettungskette wird in Gang gesetzt. Trotz seines schnellen Handelns können Rettung und Polizei nur noch den Tod des verunfallten Mitarbeiters feststellen. Kollegen und Führungskräfte bleiben geschockt am Unfallort zurück. Die Produktion wird sofort eingestellt.

Wie können sich kritische Ereignisse auf Mitarbeiter:innen auswirken?

Arbeitsunfälle haben nicht nur Auswirkungen auf die Verunfallten selbst, sondern können auch andere Mitarbeitende betreffen, wobei die Reaktionen sehr individuell sind und eine große Bandbreite einnehmen können – von apathischem Dasitzen, über Rededrang oder Fragenstellen bis hin zu heftigen Gefühlsäußerungen wie Schreien und Weinen. Diese Reaktionen dienen in der ersten Schockphase als Bewältigungs- und Verarbeitungsstrategien.

 

Im Gegensatz zu gewöhnlichen Belastungen des Arbeitslebens bedeuten kritische Ereignisse in der Regel eine Bedrohung für das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit. Die Konfrontation mit Gewalt, Verletzungen und Tod kann zu Gefühlen der Hilflosigkeit und Angst führen. Oft werden dadurch die normalen Anpassungsstrategien des Menschen überfordert, was zu ungewöhnlichen Reaktionen und Verhaltensweisen führen kann. Diese sind jedoch in Anbetracht des Erlebten völlig normal.

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Am nächsten Arbeitstag steht der Mitarbeiter, der den Arbeitsunfall mitansehen musste, vor der Tür zur Anlagenhalle. Da drinnen ist gestern in der Nachtschicht sein Kollege ums Leben gekommen. Der Mitarbeiter fand zwischen den Schichten kaum Schlaf. Immer wieder tauchen die Bilder des tragischen Vorfalls in seinem Kopf auf. Er kann sich nicht überwinden, wieder in die Halle, an den Ort des Unglücks, zu gehen. Er ist total verunsichert und fragt sich, ob das noch normal ist, oder ob er langsam verrückt wird. Zitternd dreht sich der Mitarbeiter um, und meldet sich krank …

Was der Mitarbeiter hier erlebt, ist eine vorübergehende Störung aufgrund einer außergewöhnlichen psychischen Belastung. Diese kann einige Stunden bis wenige Tage andauern, wobei festzuhalten ist, dass nicht jedes Erleben zu einer späteren Belastungsstörung führt. Damit Betroffene potenziell traumatische Ereignisse gesund bewältigen können, brauchen sie entsprechende psychosoziale Unterstützung. Seitens des Unternehmens sollten daher notfallpsychologische Maßnahmen direkt im Anschluss an ein kritisches Ereignis angeboten werden.

 

Die psychosoziale Erstbetreuung kann durch unterschiedliche Beteiligte erfolgen, wie z. B.:

  • Ausgebildete betriebliche psychosoziale Ersthelfer:innen
  • Kriseninterventionsteams (KIT)

Eine weitere Unterstützung kann in den folgenden Tagen und Wochen durch die eigenen Führungskräfte erfolgen. Auch können Gespräche mit (externen) Notfallpsycholog:innen, Mitarbeiter:innen von Kriseninterventionszentren oder Betreuungseinrichtungen helfen.

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Wie können sich Unternehmen vorbereiten?

Indem Unternehmen ein individuelles Konzept mit notfallpsychologischen Maßnahmen erarbeiten, bereiten sie sich nicht nur auf etwaige Notfälle vor, sondern schaffen auch die Basis, um Mitarbeitende im Falle eines kritischen Ereignisses entsprechend unterstützen zu können.

 

Die Vorteile liegen für den Betrieb darin, dass die Planung in Ruhe vor einem Ereigniseintritt stattfindet:

  • Entscheidungen können vorausgedacht, analysiert und abgewogen werden, ohne kognitive und emotionale Einschränkungen aufgrund von Stressreaktionen.
  • Mehrere Personen mit unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen können an der Planung beteiligt werden.
  • Dadurch kann im Vorfeld festgelegt werden, welche Ressourcen für welche Ereignisse bereitzuhalten sind.

 

Bei der Erstellung des Konzepts und der Festlegung der notfallpsychologischen Maßnahmen sollten Unternehmen folgende Punkte berücksichtigen:

(Illustration: lwtaf)

Unterstützung für Unternehmen durch die AUVA

Wie beschrieben, erfordert ein funktionierendes Konzept im Unternehmen umfangreiche Schritte der Vorbereitung sowie eine ausführliche Unterweisung aller Beteiligten. Um Unternehmen bei der Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben zum Arbeitnehmer:innenschutz – auch in Bezug auf notfallpsychologische Aspekte – zu unterstützen, hat die AUVA ein spezielles Beratungs- und Schulungsangebot zusammengestellt, mit dem sie Betriebe bei der Erarbeitung folgender Punkte unterstützt:

  • Notfallpläne inkl. notfallpsychologischer Maßnahmen
  • Psychosoziale Erste Hilfe im Unternehmen
  • Integration notfallpsychologischer Aspekte in Arbeitsplatzevaluierung, Information und Unterweisung
  • Schulung von Führungskräften und Mitarbeitenden
  • Kommunikation im Notfall

Hinweis: Die notfallpsychologische Betreuung im Krisenfall wird im Rahmen des beschriebenen Beratungs- und Schulungsangebots nicht von der AUVA übernommen.

Weitere Infos:

AUVA-Informationsblatt Notfallpsychologie im Betrieb

AUVA-Folder Notfallpsychologisches Betreuungskonzept

 

Webinar-Tipp:

05.05.2022 (10.00 – 11.00 Uhr): Grundlagen der Notfallpsychologie

 

Sie haben Fragen zum Thema bzw. Interesse am kostenlosen Beratungsangebot der AUVA? Kontaktieren Sie uns unter notfallpsychologie@auva.at