Wie man Gesundheitsgefahren im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln vermeidet, zeigt das neue AUVA-Merkblatt M.plus 340.11.
Wer Pflanzenschutzmittel beruflich verwendet, hat das nötige Wissen dafür in einer für den Pflanzenschutz-Sachkundeausweis erforderlichen Ausbildung erworben. Das sind eigentlich gute Voraussetzungen – trotzdem gibt es immer wieder Anwenderinnen und Anwender, die sich diesen zum Teil als krebsverdächtig eingestuften Substanzen ohne ausreichende Schutzmaßnahmen aussetzen. Um das zu ändern, hat die AUVA gemeinsam mit der Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) mit Unterstützung der Landwirtschaftskammer und der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) das neue Merkblatt „M.plus 340.11 Vermutlich krebserzeugende Arbeitsstoffe im Pflanzenschutz“ erarbeitet.
Bewusstsein schaffen
Wichtig ist, dass die Anwenderinnen und Anwender ein Bewusstsein für die potenziellen Gesundheitsgefahren im Umgang mit Pflanzenschutzmitteln entwickeln. Ein Grund für das mangelnde Bewusstsein liegt vielleicht auch darin, dass es sehr lange dauert, bis Betroffene negative Auswirkungen auf die Gesundheit bemerken. Dazu kommt die Macht der Gewohnheit, „Das habe ich schon immer so gemacht – und mir geht es gut“. Vor allem das Risiko durch kurze oder selten durchgeführte Arbeiten wird leicht unterschätzt.
Grundsätze der Gefahrverhütung – das STOP Prinzip
Wie bei anderen gesundheitsgefährdenden Arbeitsstoffen ist auch bei Pflanzenschutzmitteln nach dem STOP-Prinzip vorzugehen.
Substitution
- Der Ersatz gesundheitsgefährdender Pflanzenschutzmittel ist die vorrangige Maßnahme. Bereits zugelassene Pflanzenschutzmittel werden durch die AGES regelmäßig einer Neubewertung unterzogen. Bei Produkten mit Inhaltsstoffen, die in der Zwischenzeit z. B. von krebsverdächtig auf krebserzeugend hochgestuft worden sind, wird die Zulassung nicht verlängert. Damit ergibt sich zwangsweise eine „Substitution“, da das Pflanzenschutzmittel nur noch befristet verwendet werden darf.
- Eine weitere zumindest teilweise Substitution gesundheitsschädigender Pflanzenschutzmittel sieht das Konzept des integrierten Pflanzenschutzes vor. Diesem soll laut der EU-Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln der Vorzug gegeben werden. Das bedeutet, dass zuerst biologische, pflanzenzüchterische, anbau- und kulturtechnische Verfahren zum Einsatz kommen und die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt wird. Beispiele dazu wären die mechanische Bodenbearbeitung wie das Hacken von Beikräutern oder das Ausbringen von Nützlingen wie Marienkäfern und Wespenlarven als Alternative zu Insektiziden. Zur Stärkung von Pflanzen können pilz- und bakterienhemmende Knoblauch- und Chiliextrakte eingesetzt werden. Die Verwendung von Schachtelhalmbrühe und die richtige Fruchtfolge reduzieren zudem den Bedarf an Pflanzenschutzmitteln.
Technische Maßnahmen
- Im Bereich der technischen Maßnahmen hat sich in den letzten Jahren vieles gebessert. Den besten Schutz beim Ansetzen der Spritzbrühe bieten geschlossene Sicherheitsmess- und Entnahmesysteme, sogenannte „Closed Transfer Systems“. Durch diese lassen sich Spritzer beim Abmessen oder Einfüllen ebenso vermeiden wie das Berühren kontaminierter Siegelfolien. Geschlossene Systeme für flüssige Pflanzenschutzmittel ermöglichen eine kontaktlose Teil- oder Komplettentnahme, die Reinigung erfolgt automatisch. Für Klein- und Nebenerwerbsbauern sind die damit verbundenen Investitionskosten allerdings oft zu hoch.
- Beim Hantieren mit Konzentraten ohne die oben genannten Systeme besteht ein vielfach höheres Kontaminationsrisiko. Um dieses so gering wie möglich zu halten, sollten Dosierhilfen wie Pumpen oder Ablasshähne verwendet werden.
- Eine weitere technische Maßnahme ist die Verwendung einer neuen Spritztechnik, die eine gezielte Ausbringung ermöglicht und riesige Spritzmittelwolken hinter dem Traktor mit entsprechender Abtrift der Vergangenheit angehören lassen.
- Hilfreich sind auch indirekt wirkende technische Maßnahmen, z. B. Aufstiegshilfen und Haltegriffe oder integrierte Frischwassertanks, die die Arbeit erleichtern.
Organisatorische Maßnahmen
- Die verwendeten Geräte bleiben nur dann voll funktionsfähig, wenn sie regelmäßig gereinigt und gewartet werden. Gut instandgehaltene Geräte sind weniger störungsanfällig, wodurch auch das Risiko einer Kontamination im Zuge ungeplanter Reparatur- oder Reinigungsarbeiten am Einsatzort sinkt. Wenn z. B. eine verstopfte Spritzdüse am Feld geputzt werden muss, wird die dafür nötige Persönliche Schutzausrüstung oft nicht verwendet.
- Bei allen Tätigkeiten, bei denen gesundheitsgefährdende Stoffe frei werden können, sollten möglichst wenige Personen anwesend sein. In einem Gewächshaus arbeiten zumeist mehrere Personen verteilt auf großen Flächen. Wird ein Schadbefall festgestellt, muss der befallene Bereich gegebenenfalls behandelt, abgesperrt und deutlich kennzeichnet werden. Das signalisiert allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass in dem Bereich mit gesundheitsgefährdenden Stoffen gearbeitet wurde.
- Um die Prozesse zu planen, sind Organisationstalent und Flexibilität gefragt. Wird eine Spritzung vorgenommen, dürfen z. B. manuelle Arbeiten oder Begutachtungen erst nach der Wiederbetretungsfrist erfolgen. Wesentlich ist, dass alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter darüber informiert sind, wann das Wiederbetreten erlaubt ist.
- Damit eine Verschleppung gesundheitsgefährdender Pflanzenschutzmittel verhindert wird, muss für das An- und Ablegen der Persönlichen Schutzausrüstung ein Umkleidebereich zur Verfügung stehen. Im Idealfall gibt es eine Waschgelegenheit in unmittelbarer Nähe und jeweils einen eigenen Spind für die bereits getragene PSA und Arbeitskleidung. Beim Ablegen der Schutzkleidung ist zur Vermeidung einer Kontamination die richtige Reihenfolge wichtig.
Persönliche Schutzmaßnahmen
- Die Erfahrung hat gezeigt, dass viele Anwenderinnen und Anwender nicht wissen, welche Persönliche Schutzausrüstung sie bei welchem Pflanzenschutzmittel brauchen. Unwissenheit ist aber nicht der einzige Grund, warum geeignete Schutzausrüstung oft fehlt. Um Geld zu sparen, wird beispielsweise anstelle eines Chemikalienschutzanzugs ein preisgünstiger ungeprüfter Einwegoverall gekauft, oder Arbeitshandschuhe statt chemikalienbeständiger Schutzhandschuhe verwendet. Und selbst bei geeigneten Schutzhandschuhen wird dasselbe Paar Handschuhe monatelang getragen, sogar wenn es schon leichte Risse aufweist. Für einen ausreichenden Schutz darf PSA jedoch bei Beschädigungen, nach Überschreiten des Ablaufdatums bzw. nach der maximalen Verwendungsdauer oder Überschreitung der Durchbruchszeit von Schutzhandschuhen nicht mehr verwendet werden.
- Die Durchbruchszeit wird gerade bei Mehrwegprodukten oft überschätzt. Daher gilt die Empfehlung, mit Pflanzenschutzmittel-Konzentrat kontaminierte Handschuhe nach dem Einsatz auszutauschen – egal, ob es sich um Einweg- oder Mehrweg-Chemikalienhandschuhe handelt.
- Der Gebrauch von PSA bereitet von allen Schutzmaßnahmen die meisten Probleme. Das gilt nicht nur für die großen Anwenderinnen und Anwender in der Landwirtschaft. Ob man sich richtig schützt, hängt unter anderem vom Willen, vom Wissen und der Routine der handelnden Personen ab. Die Routine fehlt z. B. Hausbetreuerinnen und Hausbetreuern, die nur saisonal und bei Befall auf Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Das neue Merkblatt der AUVA richtet sich daher auch an Beschäftigte in jenen Branchen, in denen man nur selten Pflanzenschutzmittel einsetzt.
Das neue Merkblatt M.plus 340.11
Um über den sicheren Umgang mit krebsverdächtigen Pflanzenschutzmitteln zu informieren, entstand das Merkblatt M.plus 340.11 „Vermutlich krebserzeugende Arbeitsstoffe im Pflanzenschutz“. Es richtet sich an alle Anwenderinnen und Anwender von Pflanzenschutzmitteln sowie an Personen, die damit in Kontakt kommen, etwa in Gärtnereien, in Baumschulen, in der Grünraumpflege (z. B. Haus- oder Golfplatzbetreuung), im Pflanzenhandel oder in land- und forstwirtschaftlichen Betrieben. Es werden Schutzmaßnahmen für typische Tätigkeiten mit erhöhter Belastung gegenüber diesen Stoffen geschildert und Empfehlungen für die Auswahl der geeigneten Persönlichen Schutzausrüstung sowie für die richtige Verwendung und Lagerung gegeben.